Tourismus am Neusiedler See – eine Entwicklung in mehreren Phasen
Das Angebot der Tourismusregion Neusiedler See hat sich seit den 1980er Jahren verändert, und mit ihr die Gästestruktur. Die Folgen des Klimawandels für die Strandbäder verlangen nach einer weiteren Stärkung der übrigen, durchaus erfolgreichen Segmente.
Welche Rolle spielt der See heute?
Drei neu errichtete Viersternbetriebe haben 2022 in der Region ihre Pforten geöffnet – allesamt weit weg vom Neusiedler See: In Hegykö das Hotel HegiQ mit Ausrichtung auf das benachbarte Thermalbad, in Andau das Hotel Scheiblhofer mit dem Schwerpunkt Weinerlebnis, in Eisenstadt das Hotel Galántha für die Zielgruppe der Kultur- und Konferenztouristen. Der Strukturwandel bei den Unterkunftsbetrieben rund um den Steppensee hält schon seit Jahrzehnten an. Aus den 1970er Jahren stammende Kleinbetriebe werden oft von der nächsten Generation nicht mehr weitergeführt oder zum Familienwohnsitz umgestaltet. Die Bettenkapazität der Destination hat schon vor der Jahrhundertwende zu sinken begonnen – nicht aber das Gästeaufkommen, wie die Statistik zeigt. Zu einer höheren Auslastung führten nicht nur mehr Professionalität und höhere Qualität, auch die schrittweise Verbreiterung des Angebots machte die Region attraktiver: Im Frühjahr und im Herbst, vormals „Vor- und Nachsaison“ genannt, wird Rad gefahren, die Vielfalt der Natur entdeckt, Wein degustiert, im Thermalbad entspannt oder einem Konzert gelauscht. Noch nie war der Anteil an Urlaubsgästen, die während ihres Aufenthalts kein einziges Mal in einem Strandbad waren, größer als heute.
Solange noch Wasser im Seebecken verbleibt, bestimmt der See das Landschaftsbild. Die gesamte Region ist nach ihm benannt, er ist Teil der regionalen Identität. Welche Folgen ein für den Wassersport und den Schiffsverkehr zu niedriger Wasserstand erwarten lässt, wird zwar heftig diskutiert, auf Zahlen und Fakten dabei aber wenig Rücksicht genommen. Dass etwa in Illmitz mit seinem durchwegs renovierungsbedürftigen Strandbad die Auslastung der Unterkünfte seit Jahrzehnten höher ist als in jeder anderen Seegemeinde, sagt viel über die touristische Bedeutung eines Strandbads aus. Hier zeigt sich, wie deutlich der traditionelle Naturtourismus (in Verbindung mit dem jüngeren Weintourismus) den Saisonverlauf beeinflusst. Es ist zwar nicht gesichert, dass Birdwatcher im Wirtshaus mehr konsumieren als andere Gästeschichten, Tatsache ist aber, dass in Illmitz auch die höchste Anzahl an Gastronomiebetrieben zu finden ist.
Ähnlich das Bild auf ungarischer Seite:
In Fertőrákos (Kroisbach) sind nach mittlerweile vier Jahren baustellenbedingter Sperre des Strandbads – dem einzigen Seezugang – die Nächtigungszahlen nicht gesunken.
Radfahren als Ganzjahresaktivität
Mit dem Radweg B10 rund um den Neusiedler See positionierte sich die Region als Pionier des Radtourismus.
Wie positioniert sich die Tourismusregion im Klimawandel?
Ob der Neusiedler See zur Gänze austrocknen wird, ob eine Wasserzuleitung von der Wieselburger Donau das gewohnte Landschaftsbild zumindest mit einem Minimum an Wasser erhalten wird oder ob, wie Optimisten meinen und manche Szenarien prognostizieren, in Folge stärkerer Niederschläge der Wasserspiegel wieder steigen wird, kann niemand mit Sicherheit sagen. Die Zeit bis dahin sollte aber, darin sind sich alle einig, bestmöglich genutzt werden. Nachdem der Klimawandel kein kurzlebiges Phänomen darstellt und den Landschaftscharakter wohl dauerhaft verändern wird, sollten Schritte zu einer Neupositionierung der Region bald gesetzt werden. Das gilt für alle genannten Angebotsbereiche: Welche Herausforderungen, aber auch Optionen für das Naturerlebnis ergeben sich aus einer längeren jährlichen Trockenphase der Lacken, wie kann man den teils trockengefallenen Schilfgürtel als faszinierenden Lebensraum besser erlebbar machen? Wie lässt sich der Neusiedler See mit dem Fahrrad überqueren, wenn schon längst keine Schiffe den Fährverkehr aufrechterhalten? Wie können Tourismusbetriebe der Region Neusiedler See ihre Standortvorteile in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Ungarn und der Slowakei im Kultur- und Naturtourismus besser nutzen?
Sich als Vorzeigedestination in Sachen Umweltschutz zu präsentieren, wäre trotz eines hohen Flächenanteils an Naturschutzgebieten einschließlich eines grenzüberschreitenden Nationalparks ein schwieriges Unterfangen: unkoordinierter Individualverkehr bei Massenveranstaltungen, Schwermetallbelastung durch Feuerwerke, Bodenversiegelung in Rekordtempo, Plastikmüll aus Sportevents – die Ausgangslage für eine Profilierung ist verbesserungswürdig. Eine Neupositionierung der Tourismusregion Neusiedler See kann aber nur gelingen, wenn die Ursachen des Klimawandels auch lokal angegangen werden.
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